19. September 2024 / Wusstest du das?

„Gütersloh weiter auf der Subkultur-Landkarte“

Markus Corsmeyer und Weberei-Chef Steffen Böning haben sich getroffen, um über die Zukunft der Weberei zu sprechen

von Auszug aus der gt!nfo

„Gütersloh weiter auf der Subkultur-Landkarte“

Nach der Kündigung des Pachtvertrages im Frühjahr ist es ruhig um die Weberei geworden. Markus Corsmeyer traf sich deshalb mit Weberei-Chef Steffen Böning, um über viele offene Fragen zu sprechen.

Der lang geplante und kurzfristig abgesagte Umbau der Gebäudetechnik hat euch verärgert und Anfang des Jahres zur Kündigung bewogen. Hat sich die Lage beruhigt?

Um Ärger ging es weniger. Es hat einfach unsere komplette Planung über den Haufen geworfen. Seit mehr als zehn Jahren fährt der Bürgerkiez in ruhigem und erfolgreichem Fahrwasser, weil der kaufmännisch und strategisch gut geplant wird. Das reicht von der Übernahme aus der Insolvenz 2013 über Corona bist heute. Wenn dann eine notwendige und jahrelang geplante Sanierung kurz vor 12 abgesagt wird, ist das bitter. Daher ist Ärger nicht das richtige Wort, eher unnötige Mehrverantwortung und zusätzliche Belastung für Nutzer und Mitarbeitende. Von daher ist es in der Weberei alles andere als ruhig.

Was bedeutet das?

Man kann sich vorstellen, was es für die Weberei heißt, wenn elf Monate das Bistro, der Wintergarten, Konferenzräume, Küche, Toiletten, Lager, Kühlhäuser usw. nicht zur Verfügung stehen sollen. Was das an Umplanung für Prozesse, Events, Mitarbeiter bedeutet, ist auch klar. All das haben wir sorgfältig und von langer Hand vorbereit. Dann wenige Tage vor dem fest vereinbarten Baustart für eine Multi-Millionen-Sanierung zu hören: „Pustekuchen, alles bleibt wie es ist. Kleiner Fehler passiert“ kann man jetzt blöd gelaufen, unprofessionell, unverschämt oder inkompetent nennen. Ich kenne zumindest kein Unternehmen, in dem so etwas keine personellen Konsequenzen gehabt hätte. Die Weberei konnte auf jeden Fall monatelange Planungen für den Notbetrieb in die Tonne werfen. Da sich der Bürgerkiez zu großen Teilen aus den selbst erwirtschaften gastronomischen Erträgen finanziert, hat das natürlich zudem enorme Auswirkungen auf unsere Kennzahlen. Unter solchen Rahmenbedingungen mussten wir als sorgfältige Kaufleute die Reißleine ziehen, bevor der Karren im Dreck liegen würde.

Der Verwaltung regt wohl eine Schließung und eine Sanierung der Weberei im Jahr 2025 an. Was bedeutet das?

Wir wissen bis dato offiziell weder, ob sie kommt, noch wann. Soviel zum Thema der Wichtigkeit von Planbarkeit und zum Thema Verlässlichkeit von politischen Beschlüssen. Das betrifft natürlich nicht nur uns als Unternehmen. Kunden, Nutzer und Gäste stellen uns jeden Tag genau dieselbe Frage.

Eine Sanierung erst in 2025 würde zum einen bedeuten, dass die Weberei noch länger mit einem maroden und defekten Kutter unterwegs seien müsste. Es geht ja nicht um einen Schönheitsumbau, den wir uns gewünscht haben, sondern um eine Sanierung, die von Behörden seit vielen Jahren eingefordert wird und die auch sicherstellt, dass Arbeitsplätze und Betriebsflächen den aktuellen Standards und Vorschriften entsprechen. Dass die Mannschaft nicht erfreut darüber ist, dass es jetzt mal wieder doch nicht besser wird, kann man sich vorstellen.

Zum anderen haben wir immer für unsere Künstler, Mitarbeitenden, Nutzer und Gäste Wert darauf gelegt, dass die Weberei immer geöffnet ist. Das begann 2013, als wir während der Insolvenz der Vorgänger die Weberei auf unser Risiko weiterbetrieben haben, um eine Kontinuität als offenes Haus sicherzustellen. Aber auch während Corona hatten wir immer entsprechende Angebote und Formate. Daher war auch für den geplanten Umbau in diesem Jahr ein paralleler Notbetrieb geplant. 

Macht ihr jetzt dann erstmal weniger?

Die Zuschüsse, die übrigens unsere Mietzahlung an die Stadt nur um ungefähr 8.000 Euro im Monat übersteigen, wurden dieses Jahr nicht wie sonst um 2,5 Prozent inflationsangepasst. Trotz dieser Tatsache und dem großen Schaden durch die abgesagte Sanierung ist unser sozialkulturelles Angebot nach wie vor auf dem gewohnten hohen Niveau. Jeder, der das Monatsprogramm der Weberei anschaut, weiß, dass das nicht mit einer Förderung in dieser Größenordnung zu leisten ist. Aber wir legen jetzt im Endspurt noch eine Schüppe drauf, strapazieren unser Netzwerk noch ein bisschen mehr und halten bis zum letzten Tag durch. Das gesamte Team arbeit weiter mit Hochdruck daran, dass die Weberei jeden Tag viele Menschen begrüßen kann. Auch wenn die marode Infrastruktur des Gebäude suns allen dabei viel abverlangt. Das gilt für den Koch ohne adäquate Belüftung über den Techniker ohne verlässliche Stromversorgung bis zur Buchhalterin, die weder eine Teeküche noch eine Damentoilette zur Verfügung hat.

Das heißt, ihr macht deshalb nicht weiter?

Nicht nur. Der derzeitige Zustand des Gebäudes macht einen sinnvollen Betrieb ebenso unmöglich wie das 40 Jahre alte Finanzierungsmodell. Dieses basiert darauf, Erlöse mit Getränke- und Pizzaverkäufen zu realisieren, um davon den Großteil des sozialen und kulturellen Programms zu finanzieren. Die Realität sieht mittlerweile anders aus. Erfolgreiche Gastronomen gibt es wenige. Und wenn, dann stecken sie ihre Gewinne nicht in Rollstuhl-Discos, Kinderbetreuung und Jazzkonzerte. In vielen Theatern und Kulturstätten werden gastronomische Angebote mittlerweile bezuschusst, damit man überhaupt noch einen Drink und Snack in der Pause bekommt. Und jeder weiß aus seinem Sportverein, dass das Grillen auf dem Sommerfest schon lange nicht mehr nennenswert die Jugendkasse füllt.

Bewerbt ihr als Bürgerkiez-Team euch denn auf eine neue Ausschreibung und macht vielleicht weiter?

Wir haben mehr als zehn Jahre, länger als jeder andere in der Weberei-Geschichte, die Verantwortung übernommen. 365 Tage geöffnet, private Haftung und Risiken, viel Geld, Zeit, Netzwerk und Nerven. Wir haben das immer sehr gerne mit viel Herzblut und teilweise bis zur Selbstaufgabe gemacht. Aber wir hoffen, dass wir mit unserem Aufzeigen der Defizite ermöglicht haben, dass es künftig Rahmenbedingungen gibt, unter denen ein hoffentlich junges, mutiges, kompetentes Team die Verantwortung an der Bogenstraße tragen kann. Ob das juristisch und finanziell darstellbar ist, wird sich zeigen. Wir haben unseren Beitrag für die Stadt mehr als geleistet und überregionale Anerkennung für Güterslohs Sozialkultur erreicht. Viele Subkultur-Zentren sind von der Bildfläche verschwunden. Die Weberei ist eins der größten des Landes geworden. Wenn jemand nach einer Ausschreibung unseren Rat haben möchte, stehen wir im Sinne der Fortführung der Bürgerzentrums-Idee natürlich zur Verfügung. Wir können die Bogenstraße bei allen Fehlern, die jeder macht, erhobenen Hauptes verlassen.

Ist Soziokultur nicht eh ein ausgelaufenes Modell von gestern?

Problematisch ist es, wenn man die heutige Sozialkultur mit Konzepten aus dem vorigen Jahrhundert gestalten will. So läuft es leider in Gütersloh häufig. Ich will mich jetzt aber nicht im Stadtmarketing, unserem ÖPNV oder der Innenstadtgestaltung verlieren. Durch unsere Mitarbeit im Landes- und Bundesvorstand unseres Verbandes wissen wir, wie erfolgreich und notwendig angepasste und zeitgemäße Subkultur-Modell funktionieren. Der Ruf nach Sozialkultur wird immer in schwierigen Zeiten, wenn öffentliche Strukturen nicht vorhanden oder langsam sind, lauter. Flüchtlinge, Kinderbetreuung, Menschen mit Handicap, Seniorenangebote, Quartiersmanagement, warme Räume in der Energiekrise usw. Das sind unsere Aufgeben von heute und nicht nur Töpfer- und Blumentanzkurse. Leider werden die schwierigen Zeiten immer mehr, daher ist die Sozialkultur neben anderen freien Trägern, Kirchen und Initiativen aktueller und notwendiger denn je. 

Es gibt Kritik, dass es beispielsweise zu wenige Räume für Konzerte von Bands gibt, Proberäume und Ausstellungsflächen für die freie Szene, aber auch kultige Nischen-Konzerte, fehlen. Macht die Weberei da Fehler?

Wir teilen viele dieser Forderungen und Wünsche und würden auch gerne noch mehr von ihnen erfüllen. Was jedoch in Gütersloh häufig verwechselt wird, ist, dass die Weberei nicht die Strategieabteilung des Kulturamtes ist, sondern ein freier Träger für einen Bereich der Sozialkultur. Wenn Kindergartenplätze fehlen, ist daran auch nicht der eine freie Träger eines Kindergarten Schuld. Im Gegenteil, er mindert das Problem sogar. Genauso würden wir uns wünschen, dass es Gütersloh noch mehr Unterstützung für weitere Räume, Formate und Veranstaltungen gibt. Die Weberei verkleinert dieses Defizit enorm, verantwortet es aber nicht. Und dass jeder gerne seine Lieblingsband für 15 Euro sehen würde, ist ganz natürlich, aber für einen einzelnen privaten Träger wirtschaftlich natürlich häufig nicht sinnvoll darstellbar. 

Vielleicht sollte Gütersloh mehr die zahlreichen Kräfte im freien Kultur- und Kunstbereich stärken, als in immer mehr kommunale Kulturverwaltung zu investieren. Manche Dinge können Kreative, Künstler, Musiker und Unternehmer halt besser als Verwaltungsbeamte. 

Viele Kommunen müssen sich teure Fest- oder Stadthallen bauen und subventionieren, damit überhaupt mal Künstler zu ihnen kommen. Wir in Gütersloh können wirklich froh und stolz sein, was für ein breites und hochkarätiges bürgerliches Engagement im Kulturbereich haben.

Was wünscht du dir für die Zukunft?

Den spannenden Kampf um den Abriss oder Nicht-Abriss der Weberei in den 80er-Jahren kenne ich aus Erzählungen. An die Eröffnung des Bürgerzentrums erinnere ich mich als Kind noch gut, als meine Eltern Unterstützer der ersten Weberei waren. Gründer, alte Weberei-Hasen, Ehrenamtliche, Mitarbeitende, Künstler, meine Familie  und Freunde – für sie alle wünsche ich mir, dass sich alles Engagement für die Bogenstraße der vergangenen 40 Jahre gelohnt hat und Gütersloh weiter und Idealfall noch prominenter auf der Subkultur-Landkarte verzeichnet bleibt. Ich würde mich drüber freuen!

Foto: Nadine Moschkelewski

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